Wir kennen es alle: Ein hell leuchtender Screen, ein weiches Sofa, unser schlaffer Körper sitzt und glotzt. Nachrichten und Kunst, alles in demselben rechteckigen digitalen Rahmen. RECYCLING DANCE ist als Antwort auf die lähmende Erfahrung der Pandemiezeit und ihrer Folgen entstanden. Wenn alles da ist aber nichts geht, dann kann es ein lustvoller Neuanfang sein, seinen fleischlichen Körper in die provisorische Gegenwart der Bildschirme zu katapultieren und einfach mit-zumachen, so die These von MFK Bochum. Wir haben Kollektive und Choreograf:innen angefragt und gebeten uns Videoausschnitte aus ihren Stücken zum Nach- und Mitmachen zu überlassen. Im Sinne des Recyclings nehmen wir Bestehendes zur Grundlage für Neues und fragen uns und Sie, welche Energien können aus recyceltem Tanz gewonnen werden?
REDUCE - REUSE - RECYCLE
Drei REs von weiteren neun REs für ein besseres, sparsameres und nachhaltigeres Leben auf der Erde. Je mehr Güter wir wiederverwenden, desto mehr Energie sparen wir ein und desto weniger wertvolle Materialien verschwenden wir. Die besten Shows sind lebendig - auf der Bühne, in Videos, in den Köpfen, in Büchern und in der Erinnerung. Über Müll in Bezug auf Kunstproduktionen nachzudenken, ist eine heikle, wahrscheinlich unsinnige Frage. Ein Stück, das ein Jahr gespielt wurde, ist kein Abfall. Dennoch ist die Produktion und der Konsum von Kunst Realität. Während die Möglichkeiten der Materialwiederverwendung vorgegeben sind, bleiben die Grenzen der Wiederverwertung von Kunst fließend. Wer darf recyceln, wie und wer hat das Recht, die Erlaubnis zu erteilen? Requisiten, Technik und Kostüme können wiederverwendet werden. Metaphorisch auch Gedanken, Musik, Atmosphären, Choreografien und Ästhetiken. Was noch? Gibt es etwas, das bleibt und nicht reduziert oder recycelt werden kann?
In DIY-Manier erkunden wir mit den gesammelten Tanzperformances die Grenzen des Recyclings der Live Kunst auf lokalen Theaterbühnen. Dabei sparen und verschwenden wir Energie, konservieren und versuchen die Grenzen bestehender Produktionen zu erweitern. Ob wir damit unseren Co2 Fußabdruck verringern können, bleibt fragwürdig, vielleicht konnten wir zumindest die Kilometer zu den Originalproduktionen einsparen, die weit entfernt oder längst in der Vergangenheit liegen.
Credits
Konzept + Performance: MFK Bochum ⎜Kamera + Performance: Anna Lugmeier ⎜Bühne + Performance: Lars Blum ⎜Outside Eyes: Judith Ayuso, Milo Juráni ⎜Trainerin: Edita Antalová
Förderer & Partner:innen
RECYCLING DANCE ist eine Produktion von MFK Bochum in flausen+ koproduktion mit dem Sensemble Theater Augsburg, der Theaterwerkstatt Pilkentafel Flensburg und dem Theater im Ballsaal Bonn. Gefördert wird RECYCLING DANCE durch die Kunststiftung NRW und das Kulturbüro der Stadt Flensburg. flausen+ wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien über das Programm "Verbindungen fördern" des Bundesverbands Freie Darstellende Künste e.V. Vielen Dank an alle kollaborierenden Künstler*innen! Unser herzlicher Dank für technische Beratung und Unterstützung gilt Manuel Melzer, Carlos Franke und Sebastian Seidel.
Aufführungen
Theater im Ballsaal Bonn: 12./13. Januar 2024
Theaterwerkstatt Pilkentafel Flensburg: 16./17./18. November 2023
Sensemble Theater Augsburg: 23./24./25. Juni 2023
Über das Kostüm
"Over time, nudity and nakedness have come in all shapes and forms, exposing how nudity is a continuum and a process rather than a state. The fluid forms of nudity result from the contexts of production and from artists’ projects. The motivations of specific artists who use nudity as a staging device, as well as audiences’ responses to bodily exhibitions, allow a number of key features of this physical act to be identified. In short, reasons to strip actors of their clothing on stage can be ideological, esthetic or financial…" and sometimes also material and ecological."
(JOUVE Émeline, LEMOINE Xavier, « Nakedness: the Empty Signifier of Contemporary Bodies in Performance?)
NACHTKRITIK #825 Leser:innenkritik: "Recycling Dance" Reiner Schmedemann 2023-11-17 16:29
Am 16.11. hatte die Performance „Recycling Dance“ der Gruppe MFK Bochum in der Flensburger Pilkentafel Premiere. Mit dieser Performance stellt die Pilkentafel erneut unter Beweis, wie stark sie innovative Theaterformen fördert und den Anspruch verfolgt solche Innovationen interessierten Theatergängerninnen zugängig zu machen, was außerhalb der Metropolen Deutschlands nicht einfach ist. Der Abend startet im Foyer, indem eine Performerin ins Foyer tritt. Überraschung, die Frau ist mit einer Jeansjacke bekleidet und unten herum erscheint Sie im „Evaskostüm“, wobei ihre Scham mit einem Schamhaartoupet bekleidet ist. Interessant die Reaktionen des überwiegend jungen Publikums. Immer wieder schweifen Blicke des Publikums auf die unbekleideten Körperregionen, um dann schnell wieder sich dem Gesicht der Frau zuzuwenden. Die Akteurin gibt eine kurze Einführung in die Performance und sucht dabei ständig den Blickkontakt zum Publikum. „Recycling Dance“ ist die Auseinandersetzung mit den lähmenden Erfahrungen während der Pandemie. Es ist die Antwort auf die Zeit körperlich passiven Konsums mittels digitaler Medien. Das MFK Bochum hat bereits während der Pandemie begonnen sich seiner Körperlichkeit zu besinnen, indem es Choreografeninnen und Gruppen um Videoausschnitte ihrer Performances bat, um sie zum Mit- und Nachmachen zu nutzen. Daraus entstand „Recycling Dance“ eine Performance, die sich mit REUSE, REDUCE, REPAIR und RECYCLE von existierenden Tanzstücken befasst und die Fragen aufwirft, nach den Energien und Erkenntnissen, die aus recyceltem Tanz erwachsen und was sie Neues schaffen können. Die Performance besteht im Wesentlichen aus den Elementen: Sound, Körper, Objekten, Licht, Video und Tanz. Die drei Performerinnen (Katarína Marková, Marlene Ruther und Franziska Schneeberger,) und der Performer (Lars Blum) sind nackt, nur bekleidet mit einem Schamhaartoupet sowie Socken und Schuhen. Der Sound wird hauptsächlich von hämmernden Beats und Rhythmen getragen. Zunächst werden gymnastische und turnerische Übungen gezeigt, die in Figuren münden, die den Eindruck vom Fliegen, Leichtigkeit und Freiheit vermitteln. Auf einem Monitor laufen Ausschnitte von Tanzproduktionen, die von dem/den Performer*innen in ihre dreidimensionale Körperlichkeit recycelt werden. Digitale, zweidimensionale Choreografieausschnitte werden „reused“ mittels der dreidimensionalen Körperlichkeit der Performerinnen in Bezug auf Ausschnitte der Videochoreografien. Es geht um Körper:Bilder: indem Choreografieausschnitte nachgetanzt werden, um sich als Nicht-Tänzerinnen den gewählten Choreografien körperlich anzunähern. Es geht darum die Schwingungen bewegter Körper zu erfahren und sie wieder zu einem realen körperlichen Erlebnis zu transformieren. Dies wird realisiert durch Nachahmung, Reproduktion und Wiederholung. Diese physische Transformation von Videoausschnitten wird dann mit Videoaufnahmen (Großaufnahmen von Gesichtern, Körperteilen, etc.) wieder in zweidimensionale Bilder übersetzt, die jetzt aber mehr den Charakter von Bildern aus der Malerei erhalten. So werden Momente der Körperlichkeit in den Fokus gerückt wie Gesten, Mimik und Berührungen. Der gesamten Produktion wohnt ein DIY-Charakter inne, der verdeutlicht das Kunst etwas mit Körperlichkeit im ursprünglichen Sinne verbindet und im „embodied mind“ seine Vollendung finden kann. Diese personalisierte Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen wie nachhaltiges Leben, Ressourcenschonung Abfallreduktion, CO² und Klimaschutz am Beispiel recycelter Tanzausschnitte, schafft eine neue Form der Wahrnehmung dieser Herausforderungen und stellt gleichzeitig die Frage nach der Bedeutung von Kunst und in wieweit sie den gleichen Bedingungen unterliegt oder Neues schafft durch die Konfrontation mit nackter Körperlichkeit um den Dualismus von Körper und Geist im „embodied mind“ zu vereinen und somit eine neue Qualität der Wahrnehmung schafft. Danke für diesen inspirierenden Abend an alle Beteiligten. Merci & Chapeau.