(Das Glossar ist eine Sammlung, in die wir Notizen und Begriffe aus unserer Arbeit zusammenfügen.)
Telepathische Bewegung/sich zusammen bewegen an verschiedenen Orten
Diese Strategie und Form der regelmäßigen Praxis (eine Form des gemeinsamen Trainings) hat sich formiert, wegen der Unmöglichkeit körperlich zusammen an einem zu Ort sein. Je unbestimmter der Aussichtspunkt geworden ist, dass wir zu einem gleichen Ort gelangen, desto größer war der Wunsch, eine andere Form für gemeinsame Bewegung zu finden.
Die Inspiration der telepathischen Bewegung kam von der rumänischen Choreographin Alexandra Pirici. Sie bot in der Pandemie (ab März 2020 ) eine gemeinsame Zeit der Bewegung an verschiedenen Orten an ohne die Notwendigkeit sich gegenseitig in 2D zu visualisieren. Dies war für all diejenigen, die ihren Facebook Beitrag gelesen hatten und Lust hatten sich zusammen mit ihr und ihren Freund:innen zur vorher geteilten Playlist eine halbe Stunde lang zu bewegen. Wie Pirici auf ihrem Facebook-Profil schreibt:
"We want to discourage giving into the immediate, market-driven demand to sacrifice everything in order to continue without pausing, turning any art medium, form of encounter, learning, exchange or practice into a flat online experience. In diesen Versuch geht es darum zusammen sein in der Isolation, oder präziser sich einzubilden/imaginieren Beisammensein (togetherness)."
In unserer Praxis von telepathischer Bewegung geht es nicht um eine "offene Veranstaltung" (die auch möglich wäre). Wir wissen wer sich in der verabredeten Zeit zu der bestimmten Playlist bewegt. Durch die Musik teilen wir die gleiche Rhythmus-Umgebung, auf die unsere Körper reagieren. In einem Akt des Vertrauens, dass die Anderen sich auch mit-bewegen, entsteht ein imaginäres Zusammentanzen. Durch diese Einbildungskraft reagiert mein Körper nicht nur auf dem Rhythmus aber auch auf die Projektion der anderen Körper.
Bewegung, Mobilisierung
Was bewegt mich, uns zu dritt, unsere Umgebung? Wo bewegt sich was? Bewegt sich überhaupt was? Wo würde sich eigentlich was bewegen? Wie können wir Festgewordenes in Bewegung bringen?
Eine politische Bewegung, eine choreografierte Bewegung, Modern Dance mit youtube, Bewegungsworkshops besuchen, im Zug sitzen, eine Seite umblättern, emotional bewegt sein, etwas fühlen, in Rage geraten, sich vorstellen jemanden zu verkloppen, eine Welle an Bekenntnissen, Andere bewegen, den Arm von meiner Partnerin hochheben, eine Richtung einschlagen, nach Hause, in den Markt, einer Ahnung, einem Gefühl, einer Vorstellung folgen, die Augen schließen, die Jahreszeiten, Unangenehmes abschütteln, ein Schaudern, an der A40 wohnen, die Uhr im Blick haben, …
Fiebertraum, Weirdness, Glitch
Etwas passt nicht. Eine unangenehme Gefühlslage auf einer kleinen oder großen Bühne des Alltags, wir kennen es alle. Bleib in dieser unangenehmen Sache, verzögere den Moment, dehne ihn aus, gib dir ein Stretching an dem Ort deines Körpers, der so unangenehm schmerzt, aber auch das Tor in deine Fieberträume sein kann. Zum Beispiel: das Gesicht (aus Versehen) eine Grimasse. Die Orte mit ihrem jeweiligen Konsens eilen dir voraus. Widerstehe dem Komfort dich zu entfernen. Staying inside unsuitability. Es geht um das Herstellen von Genuss in Konfrontation mit Unangemessenem. Um das Potential, an dieser Stelle eine Abzweigung in unheimliche Seltsamkeit zu nehmen und dort hineinzutauchen.
Lust, Sensation, Erotik, Wissen
Folgendes aus Sara Ahmeds Buch Feministisch leben:
„Die Rolle von Sensation im Entstehungsprozess des Wissens (…)“.
Welche Rolle spielt Sensation, engl. »sensation«, in meinem Wissen? Zunächst konsequent anerkennen, dass Wissen unbedingt sinnlich entsteht. Ohne Fähigkeit zur Sinnlichkeit gib es gar keine Wahrnehmung. Welcher Platz wird dem sinnlichen Empfinden, den sinnlichen Empfindungen abseits hegemonialer kulturwissenschaftlicher Praktiken wie Lesen und Schreiben in der Wissenschaftsmatrix zugewiesen?
Irgendwo außerhalb der Anerkennungszone, es besteht keiner Prüfung!
Das Widerständige im Lustvollen: Ineffizienz, Verausgabung, Hin-gabe. Audre Lorde spricht in ihrem Aufsatz Uses of the Erotic von Erotik als Hingabe, als »power« und »knowledge«. Die eigene »deepest world of feeling« be-ob-achten und die »unintentional power against fear« darin feststellen. Eine solche Eros-Erfahrung ist eine Erfahrung vom Wissen darum, dass es möglich ist, Jemanden oder Etwas zu lieben, was Audre Lorde als »deep understanding« bezeichnet.
Muskeln, Kämpfen
Simone de Beauvoir beschreibt in „Das andere Geschlecht“ wie das für Mädchen oftmals ausgesprochene Verbot von Raufen und Kämpfen, überhaupt sportlichen Betätigungen zu einem Körpergefühl von Passivität führen kann, dass aber das Vertrauen in sich selbst wesentlich vom Vertrauen in den eigenen Körper abhänge. Muskelaufbau und Raufen als aktivierende, ermächtigende Übung: Muskeln, Kampferfahrungen als Unterstützung der inneren Haltung von Herausforderungslust. Initative üben, sich (gegenseitig) darin ermutigen, den eigenen Einfluss auf die Welt geltend zu machen. Mich kräftigen, indem ich meinen Körper kräftige. Die Veränderungen beobachten und genießen. Die Möglichkeit jemanden umzuhauen wenn ich will. Sich gegenseitig in Kraftübungen herausfordern, übertrumpfen und stärker werden wollen.
Öffentlichkeit
Sehr einfach, auf öffentlichen Plätzen gibt es gratis Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist ein Bereich des Lebens (on/offline), der jedem Menschen zugänglich ist. Dem Wochentag und der Uhrzeit nach gibt es an einem öffentlichen Platz manchmal mehr manchmal weniger Öffentlichkeit, die kann sich zunächst Jede:r anschauen, sich in ihr aufhalten und so Teil von ihr werden. Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit bedeutet dann innerhalb der Öffentlichkeit aus ihrer Allgemeinheit herauszutreten. Dieser Austritt kann willentlich passieren oder unwillentlich, das hängt von den Eigenschaften und dem Selbstverständnis der Allgemeinheit ab. Dieses Wissen über die Parameter des jeweils Allgemeinen äußert sich oft auf Gefühlsebene und ist gar nicht allgemein. (…)
Peinlichkeit, eine kleine Sprengung
Lachen, Übermut, Übertreiben. Ansteckung untereinander, sich gegenseitig herausfordern,
sich freuen über das, was meine Partnerinnen tun.
Die Lust, eine Show für Andere zu machen. Sich in angreifbarer Lage überraschen lassen. Manchmal smooth, dann holprig. Beobachtet werden. Zuschauer:innen einladen.
Die Frage nach den repräsentierbaren Fähigkeiten, führt nicht weit. Ich kümmere mich nicht darum wie es aussieht. Trotzdem bin ich nicht frei von dem Wissen um die Macht des Blickes. In der Unzulänglichkeit gesehen werden. Peinlichkeit mag etwas mit dem schmerzhaften Gefühl von nicht ausreichender Beherrschung einer Technik zu tun haben. Peinliche Momente, ausbaubar zu dauerhaften Zuständen, in denen die Lust, etwas unvollständiges, mangelhaftes zu tun und zu präsentieren größer ist als das Festhalten an einstudierter Technik oder einem Ablauf.
Unkoordinierte, ungeordnete, unkontrollierte Aktivitäten. Im Idealfall kannst du dich gehen lassen. Beherrschung, Kontrolle, Verlust.
Es ist mir unangenehm. Ich fürchte den wertenden Blick der Zuschauerinnen. Keine Gefühlszustände überspielen. Es ist sichtbar ohnehin.
Training, Probe, Praxis, Übung
Es wird vorlieblich der Begriff des Trainings für die Treffen von MFK verwendet. Andere mögliche Benennungen wären Probe, Praxis oder Übung. Training hat den Vorzug, dass es sich nach einer regelmäßigen, anstrengenden, sportlichen, gruppendynamischen Sache anhört. Training heißt auch immer Vorbereitung.
Training auf dem Bolzplatz. Wir üben uns im Spielen, im Probieren. Spiel und Probe ist beides nicht ernst, in dieser Situation kann ich etwas nach den Regeln des Spiels tun, ohne zu wissen was es von später aus betrachtet bedeutet haben wird. Ein Versuch der eigenen Möglichkeiten.
Wir bewegen uns in einem durch die Kraft der Vorstellung hervorgebrachten Modellraum einer anderen Realität. Unser Training markiert einen von rational-logischen Zusammenhängen abseits liegenden Übungsplatz. Training wird zu Praxis wenn es nicht um Steigerung sondern um Kontinuität geht. Im Training willst du u.a. auch besser werden. Unsere Körper sollen kräftiger, präziser in ihrer Bewegung werden. In erster Linie trainieren wir aber die Kommunikation zwischen unseren Körpern und unseren Körpern und deren Umgebung. Eine andere Umgangsform trainieren, nicht so viel miteinander reden. Praxis: Es gehört jetzt dazu, zu meiner Woche, meinen Tagesverläufen. Praxis dauert. Sie entsteht mit der Zeit und durch Übung(en), dem wieder und nochmal und wieder und nochmal.